Diskussion

Bis heute gibt es keine allgemein anerkannten Diagnosekriterien für das CBS. Die meisten der vorgeschlagenen diagnostischen Kriterien setzen gebildete visuelle Halluzinationen bei psychisch normalen älteren Patienten voraus.1 Hinsichtlich des Pathomechanismus des CBS werden zwei Haupttheorien diskutiert: Die Wahrnehmungsfreigabe-Hypothese besagt, dass ein normaler visuosensorischer Input irrelevante Empfindungen von der bewussten Wahrnehmung von Bildern abhält. Durch die Verringerung des visuell-sensorischen Inputs wird der Schwellenwert für die Unterdrückung irrelevanter Empfindungen nicht erreicht, und unbewusste Wahrnehmungen werden in das Bewusstsein freigesetzt, was zu visuellen Halluzinationen führt.4 Die Deafferentationstheorie besagt, dass ein Verlust des visuell-sensorischen Inputs in den visuellen Kortex zu spontanen neuronalen Zündungen und in der Folge zu abnormen visuellen Wahrnehmungen führt.5 In diesem Zusammenhang spielen Serotonin-2A-Rezeptoren (5HT2AR), die im visuellen Kortex stark ausgeprägt sind, eine entscheidende Rolle: 5HT2AR werden in Abwesenheit von visuellen Reizen aktiviert und erhöhen die Erregbarkeit des visuellen Netzwerks. Dadurch wird die neuronale Aktivität destabilisiert, was dann zur Entstehung von visuellen Halluzinationen führt.6

Die visuellen Halluzinationen von Patienten mit CBS werden entweder als einfache geometrische Muster oder als komplexe erkennbare Formen wie Gesichter oder Blumenbilder beschrieben. Die Halluzinationen treten typischerweise im Bereich des neu erworbenen Sehverlusts auf. Auch wenn sie in der täglichen Krankenhausroutine weitgehend unerkannt bleiben, sollte das CBS bei halluzinierenden Patienten, bei denen andere Ursachen für visuelle Halluzinationen ausgeschlossen wurden, als Diagnose in Betracht gezogen werden. Bei 120 Patienten mit homonymer Hemianopsie und Okzipitallappenschädigung traten bei 13 % komplexe visuelle Halluzinationen im betroffenen Gesichtsfeld auf.7 Es gibt keine spezifische Therapie für CBS. Eine wichtige Säule der Behandlung besteht darin, den Patienten zu versichern, dass diese visuellen Halluzinationen von Natur aus gutartig sind und nicht auf eine psychiatrische Störung hindeuten. Zahlreiche Antikonvulsiva und Antipsychotika (z. B. Carbamazepin, Valproat, Olanzapin, Mirtazapin) lindern Berichten zufolge die mit dem CBS verbundenen visuellen Halluzinationen.2 Bei Patienten mit CBS kann es jedoch auch zu einer spontanen Besserung kommen. Eine Studie mit sehbehinderten Patienten, die ebenfalls über Halluzinationen berichteten und nicht behandelt wurden, zeigte bei 28 % der Patienten ein Jahr nach der Diagnose eine Spontanremission, obwohl sich die visuellen Messwerte nicht veränderten.8

Im vorliegenden Fall führte Melperon zu einer Verbesserung der visuellen Halluzinationen, was mit einer Beobachtung aus einer früheren Fallserie übereinstimmt.9 Durch die Blockierung von 5HT2AR könnte Melperon die Erregbarkeit des visuellen Netzwerks in Abwesenheit von visuellen Eingängen abschwächen und so der Deafferenzierung entgegenwirken, was zu einem Aufhören der visuellen Halluzinationen führen könnte. Diese Annahme könnte durch die Tatsache untermauert werden, dass Aripiprazol – ein partieller Agonist am 5HT2AR – keine Wirkung auf die Halluzinationen hatte. Die Wirksamkeit von Melperon auf Halluzinationen muss jedoch in einer größeren Kohorte von Patienten mit CBS weiter nachgewiesen werden.